Mut zum Raum

Interview mit der Stimm- und Sprechtrainerin Elisa Andessner über Frauen und ihrem besonderen Verhältnis zur Stimme.

FrauenArgumente: Rhetorik- und Sprechseminare für Frauen sind gefragt. Wie erklärt sich der große Bedarf auf diesem Gebiet? Ist den Männern die „Rhetorik“ schon in die Wiege gelegt, während sich Frauen diese Fähigkeiten erst hart erlernen müssen? 

Andessner: 
Männern* ist die Rhetorik nicht in die Wiege gelegt! Trotzdem stimmt es, dass es Männer* „leichter haben“ bei öffentlichen Sprechauftritten. Frauen* werden ganz anders – und zwar viel kritischer – betrachtet, wenn sie öffentlich sprechen. Das hat eine lange Geschichte. Über Jahrhunderte hinweg hat es als „unschicklich“ gegolten, wenn Frauen* in der Öffentlichkeit aufgetreten sind. In der Antike, der Gründungszeit der Rhetorik, war die öffentliche Rede für Frauen* sogar verboten. Die Rhetorik, die Redekunst, ist auf dem Fundament aufgebaut, dass Sprechen Männersache ist. Dieser Gedanke ist ganz tief in uns verankert und äußert sich in uns, wenn wir Menschen beim Sprechen zuschauen. Eine Frau*, die öffentlich auftritt, löst noch immer Irritation aus. Irgendwas gibt es immer auszusetzen, entweder sie ist zu viel geschminkt, zu sexy gekleidet oder zu sehr graues Mäuschen, spricht zu forsch, zu hart oder viel zu wenig durchsetzungsstark. Ich bin überzeugt, dass es bei dieser Diskussion vor allem um den öffentlichen Auftritt geht, der, kommt er von Frauen*, noch immer Unbehagen zu erzeugen scheint. Bis in über die 1950er Jahre hinaus bezeichnete der Begriff „öffentliche Frau“ eine Frau*, die mit Prostitution ihren Lebensunterhalt verdient. Da zeigt sich ganz klar, die Grundhaltung einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur: Der Platz der Frau* ist in den eigenen vier Wänden. Und davon sind wir leider noch immer nicht weit genug entfernt.

FrauenArgumente: Wieso ist es für Frauen gerade in der Politik oft so schwer, sich rhetorisch durchzusetzen und ernst genommen zu werden?  

Andessner: Ich würde den Fehler wirklich nicht so sehr bei den Frauen* selbst suchen. Sondern dieses Phänomen als gesellschaftliche Herausforderung begreifen. Als Sprechtrainerin mache ich die Erfahrung, dass 90 Prozent der Teilnehmer*innen an Sprechseminaren Frauen* sind. Besonders eindrucksvoll war ein Seminar mit lauter Betriebsrätinnen, also wirklich gestandene, selbstbewusste Frauen*, die sich mit aller Kraft für verschiedenste Dinge einsetzen. Bei der Vorstellrunde haben mir alle sechzehn Frauen* erklärt, wie schlecht sie sprechen. Sie waren unzufrieden mit den verschiedensten Dingen: Die eine Frau* fand ihre Stimme zu laut, die eine zu leise, die nächste zu emotional, die andere zu monoton, wieder eine andere fand, dass sie absolut unsicher wirkt, die nächste fand, dass sie überhaupt sie ihre Inhalte schlecht präsentiert usw. Eine Riesenbandbreite von gesalzener Selbstkritik also. Das absolut Erstaunliche war: Als jede Teilnehmerin im Rahmen einer Übung eine kleine Rede hingelegt hat, haben wir bemerkt, dass ausnahmslos alle EXTREM gut waren. Jede Frau*, die an der Reihe war, hat auch von den anderen Frauen* dieses Feedback bekommen, nicht nur von mir. Wir waren alle überrascht, wie wenig die Auftritte mit dem Selbstbild der Teilnehmerinnen übereinstimmten. Als wir dann darüber reflektiert haben, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es bei diesem Sprechseminar vor allem darum geht, sich gegenseitig zu stärken und dieses verzerrte Selbstbild zurechtzurücken. 

FrauenArgumente: Reden, um sich selbst zu hören! Sitzungen, in denen Personen – häufig Männer – sich ungeniert den Raum und die Zeit für ihre Ausführungen nehmen, auch wenn ihre Inhalte dürftig sind. Warum ist das so? 

Andessner: Ja, das beobachte ich auch sehr oft! Da geht es ganz klar um das Recht, sich Raum zu nehmen. Raum einzunehmen ist das gleiche wie Zeit einzunehmen. Wenn sich jemand beim Sprechen unangemessen ausbreitet, ist es das gleiche, wie wenn jemand in der Straßenbahn fast zwei Sitze beansprucht, Stichwort „manspreading“. Männer* finden viel eher als Frauen*, dass ihnen der Raum und die Zeit von anderen zustehen. Die Wurzeln für diese Annahme sind Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende alt. 

FrauenArgumente: Was machst du in deinen Workshops, um diese eingefahrenen Muster zu durchbrechen? 

Andessner: Ich sehe meine Aufgabe als Sprechtrainerin darin, die Teilnehmer*innen – im Übrigen auch Männer* – zu ermutigen, sich groß zu machen, laut zu sein, dazu zu stehen, was sie zu sagen haben, die ganz persönliche Art zu finden, sich beim Sprechen wohl zu fühlen. Ich vertrete den Standpunkt, dass sich Inhalte am wirkungsvollsten transportieren lassen, wenn ich mich in meiner Haut wohl fühle. Beim Sprechtraining möchte ich gemeinsam mit den Teilnehmer*innen herausfinden, was sie brauchen, um sich sicher zu fühlen. Dadurch wirke man dann auch sicher. Ich halte nichts davon, den umgekehrten Weg zu gehen, also nur darüber zu sprechen, was ich tun muss, um sicher zu wirken. Nein, es geht mir darum, was ich brauche, um mir sicher zu sein.

[ Das Interview führte Sabine Traxler]  

© Elisa Andessner

ZUR PERSON

Elisa Andessner ist freiberufliche AAP- Stimm- und Sprechtrainerin, Sprecherin und TV-Sendungsmacherin des Literaturformats „Text am Wort“. Zudem ist sie als Bildende Künstlerin im Bereich Fotografie, Video und Performance, sowie als Initiatorin von Ausstellungen und internationalen Kunstprojekten tätig.  www.elisaandessnervoice.net

BUCH ZUM THEMA
Mary Beard 
Frauen und Macht.Ein Manifest.

Die Althistorikerin Mary Beard seziert in ihrem Buch die perfiden Mechanismen, die Frauen seit Jahrtausenden von den Schalthebeln fernhalten. Ein leidenschaftlicher Aufruf an Frauen, sich jetzt die Macht zu nehmen.

Verlag Fischer 2018, 112 Seiten, EURO 12 

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